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RHODOS22 - GRAU IST DIE FARBE DER GENEALOGIE

 


Rhodos 2022 - Genealogy - Rolleiflex 2.8F
The Old Silk Factory - Entrance. Rolleiflex 2.8F

In dem Maße, wie meine Reise in die Tiefen der Vergangenheit voranschritt, offenbarten sich mir immer düstere Landschaften. Es waren Orte, die von der Grausamkeit der Geschichte gezeichnet waren, wo Menschen auf schreckliche Weise gefoltert und ermordet wurden. Diese Orte erschienen mir unheimlich und dystopisch, als ob sie aus den Albträumen der Menschheit entsprungen wären. 

Doch während ich mich auf diese beklemmenden Schauplätze vorbereitete, drängten sich mir die Worte Friedrich Nietzsches auf: "Grau ist die Farbe der Genealogie."

RHODOS 22 - GENEALOGY - ROLLEIFLEX 2.8F

Doch was meinte Nietzsche mit dieser rätselhaften Aussage? In der Tat verwendete er die Farbe Grau, um auf die komplexen, oft verschleierten Verbindungen zwischen den Menschen und ihren Vorfahren hinzuweisen. Grau steht symbolisch für die Nuancen, Zwischentöne und unzähligen Fäden, die uns mit unserer Geschichte verweben. Wenn wir uns auf die Suche nach den Wurzeln unserer Geschichte begeben, dringen wir in Bereiche vor, die selten in einfachen Schwarz-Weiß-Kategorien einzuteilen sind, sondern sich in einem diffusen Grau bewegen.

Die Genealogie ist eine Grauzone der Erkenntnis. Sie ist eine Forschung, die sich nicht scheut, die dunklen und schmutzigen Aspekte der menschlichen Natur zu enthüllen, die oft von den glänzenden Idealen der Gesellschaft verdeckt werden. Nietzsche meinte damit, dass die Auseinandersetzung mit unserer Herkunft und den moralischen Werten, die uns prägen, keine einfache oder angenehme Aufgabe ist. Sie zwingt uns, uns mit den dunklen Facetten der menschlichen Existenz zu konfrontieren, die oft von den herrschenden Idealen verdrängt werden.

Die Alte Seidenfabrik, die während der dunklen Jahre des Zweiten Weltkriegs als Internierungslager diente, ist ein solcher Ort. Hier wird die Grauheit der Genealogie auf eindrückliche Weise sichtbar. Es ist ein Ort, an dem die Geschichte nicht aus glorreichen Taten und heroischen Figuren besteht, sondern aus Gewalt, Unterdrückung und unermesslichem Leiden. Ein Ort, der uns zwingt, uns mit den Fragen zu konfrontieren: Wie sind wir zu dem geworden, was wir sind? Und wie können wir anders werden?

RHODOS 22 - The Old Silk Factory - Rolleiflex 2.8F

RHODOS 22 - The Old Silk Factory - Rolleiflex 2.8F

DIE ALTE SEIDENFABRIK / THE OLD SILK FACTORY

Die dritte Station meiner Reise war die alte Seidenfabrik. Sie wurde in den 1930er Jahren von den italienischen Besatzern als Teil ihrer Industrialisierungs- und Siedlungspolitik auf der Insel gebaut. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Fabrik jedoch zu einem Ort des Schreckens und des Leidens, als sie als Gefängnis und Folterlager für italienische Soldaten,  griechische Widerstandskämpfer und vermutlich Juden benutzt wurde.  Es ist ein Ort, der uns zwingt, uns mit den Fragen zu konfrontieren: Wie sind wir zu dem geworden, was wir sind? Und wie können wir anders werden?

Ein Schild mit der Aufschrift "Old Silk Factory" vermittelt einen unpassenden Eindruck, der die wahre Grausamkeit und Brutalität, die sich hinter diesen Mauern abspielten, verschleiert. Als ich diesen Ort betrat, spürte ich, wie sich ein Schauer über meinen Rücken legte. Die Atmosphäre war erfüllt von einer bedrückenden Stille, die von den unzähligen Schicksalen zu sprechen schien, die hier einst in Dunkelheit und Schmerz gehüllt waren.

RHODOS 22 - THE SILK FACTORY

RHODOS 22

RHODOS 22


Die Grauen der Vergangenheit: Enthüllung des Schreckens

Und neben den visuellen Eindrücken waren es auch die historischen Informationen, die meine Reise durch diese finstere Vergangenheit begleiteten. Hier, in dieser einstigen Seidenfabrik, wurde die Brutalität des Generalmajors Otto Wagener zur traurigen Realität. Unter seiner Führung wurden unmenschliche Bedingungen der Inhaftierung eingeführt, die selbst die grundlegendsten menschlichen Rechte ignorierten.

Die Insassen dieses Ortes litten unter unvorstellbaren Qualen. Regeln wurden aufgestellt, die jede Form von Menschlichkeit zu ersticken schienen. Wer länger als drei Minuten auf der Toilette verbrachte oder während der halben Stunde Freigang aus den Zellen mit anderen Mithäftlingen sprach, wurde gnadenlos bestraft. Diejenigen, die versuchten, durch Klopfzeichen in der Zelle mit anderen Häftlingen zu kommunizieren, wurden für ihre Verzweiflung mit dem Tod bestraft. Sogar das Simulieren einer Krankheit oder das Unterlassen, die Verfehlungen anderer Gefangener zu melden, führte zur Exekution.

Die Geschichte dieses Ortes war auch geprägt von einem verzweifelten Fluchtversuch. Am 24. April 1945 wagten fünf Häftlinge den riskanten Schritt in die Freiheit. Doch die Dunkelheit ihrer Situation ließ ihnen keine Wahl. Zwei von ihnen waren so geschwächt, dass sie nicht einmal aus der Sichtweite des Gefängnisses entkamen und vor den Augen ihrer Mitgefangenen erschossen wurden. Zwei weitere wurden von einer Patrouille aufgegriffen und erlitten das gleiche Schicksal. Über den fünften Flüchtigen ist nichts bekannt, und sein Schicksal bleibt bis heute im Dunkeln.

Am nächsten Morgen folgte ein erschütternder Appell für alle Gefangenen, bei dem die Strafe für den Fluchtversuch verlesen wurde. Ursprünglich sollten 15 Mitgefangene für die Flucht der Fünf exekutiert werden, drei für jeden Flüchtling. Doch letztendlich wurden "nur" 11 Gefangene erschossen, ein Akt der Gnade, wie es der Kommandierende des Lagers nannte.

Spurensicherung mit der Kamera

Mit meiner Kamera in der Hand begann ich zu filmen, um diese Momente festzuhalten, um die Geschichten zu bewahren, die sonst in der Vergessenheit verschwinden würden. Jeder Schritt durch die verlassenen Räume war von einer Mischung aus Neugier und einem unheimlichen Gefühl begleitet. Die verrosteten Stahlbetonträger, die zerrissenen Stoffe und der angesammelte Schutt auf dem Boden erzählten stumme Geschichten von Leid und Qual. Die vergitterten Fenster und Türen schienen Zeugen einer Zeit zu sein, in der Freiheit ein unerreichbarer Traum war. Die grauen Wände mit den Furchen und Eingravierungen erschienen wie eine Geheimschrift, die die Trauer und Verzweiflung derjenigen zum Ausdruck brachte, die hier gefangen gehalten wurden.

RHODOS 22 - Hieroglyphen - Rolleiflex 2.8F
Hieroglyphen der Geschichte. Rolleiflex 2.8F

Die künstlerische Komposition dieser Bilder wurde fast gegeben, die Strukturen entstanden aus einer meisterhaften Kombination von Lichtern und Schatten, von Punkten, Linien und Flächen: Dreiecke, Quadrate, Kreise, Polygone und Projektionen, die auf die Wände wie Ideogramme und Hieroglyphen projiziert wurden, als ob sie eine verborgene Sprache der Geschichte selbst wären.

Hieroglyphic Art

RHODOS 22 - Hieroglyphic Art

RHODOS 22 - Hieroglyphic Art

RHODOS 22 - Hieroglyphic Art
Hieroglyphic Art of Memory and History

Und während ich diese Zeilen schreibe, spüre ich, wie die Erinnerungen an diesen Ort in mir aufleben, als ob ich selbst dort gewesen wäre. Es ist, als ob ich die Schatten der Vergangenheit mit jedem Bild eingefangen hätte. Diese Aufnahmen sind nicht nur eine Aufzeichnung, sondern eine Transformation der Geschichte in Wahrheit. Sie sind die Worte, die nie ausgesprochen wurden, die Schreie, die verstummt sind, und die Hoffnung, die niemals aufgegeben wurde. In dieser Fusion von Realität und Kunst entstand eine einzigartige Verbindung, die die Essenz dieses Ortes und seiner Geschichte für immer bewahrt.

RHODOS 22 - Genealogy - Rolleiflex 2.8F
EXIT - The Old Silk Factory. Rolleiflex 2.8F


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